Weniger Verbrauch, weniger Emissionen, weniger Unfälle – Nutzfahrzeugindustrie auf der Automechanika 2016
Die Vision vom fahrerlosen Lkw ist greifbar nahe. Die aktuellen Trends in der Nutzfahrzeugindustrie im Jahr 2016 sind jedoch pragmatischer und vom wirtschaftlichen Druck ebenso getrieben wie von dem Wunsch nach mehr Sicherheit und einer besseren Umweltverträglichkeit. Auf der Automechanika vom 13. bis 17. September 2016 in Frankfurt zeigen mehr als 1.000 Aussteller mit „Truck Competence“ innovative Lösungen rund ums Nutzfahrzeug von morgen.
Gewichtseinsparung, CO2-Reduzierung, Elektronik und Vernetzung – die aktuellen Megatrends in der Nutzfahrzeugbranche scheinen sich recht leicht auf diese vier Begriffe reduzieren zu lassen. Und dennoch: Diese oberflächliche Zusammenfassung lässt nicht einmal im Ansatz erahnen, was die Nutzfahrzeugindustrie derzeit an innovativen und zukunftsweisenden Projekten, Produkten und Lösungen hervorbringt. Dabei muss es nicht gleich der komplett fahrerlose Truck von morgen sein. Viele Komponenten, Assistenten und Systeme, auf denen die Trucks der Zukunft basieren, sind bereits heute entwickelt, erprobt und erhältlich. Nicht nur Transportunternehmer und Fuhrparkbetreiber profitieren von diesen Entwicklungen durch geringeren Kraftstoffverbrauch, eine höhere Verfügbarkeit, mehr Nutzlast und einer besseren Wirtschaftlichkeit ihrer Fahrzeuge. Ein Plus an Sicherheit freut auch andere Verkehrsteilnehmer und nicht zuletzt gewinnt die Umwelt – dank ressourcenschonender Antriebe und weniger Emissionen.
Mehr Nutzlast, weniger Verbrauch
Der langjährige Trend zu weniger Leergewicht beim Lkw ist auch 2016 ungebrochen. Schließlich bedeutet weniger Leergewicht mehr Nutzlast oder ersatzweise weniger Kraftstoffverbrauch – in jedem Fall also eine höhere Wirtschaftlichkeit des Fahrzeugs. Weniger Gewicht beginnt schon im Kleinen, etwa bei Bremsen oder Achsen. Zehn Prozent weniger Gewicht gegenüber dem Vorgängermodell proklamiert etwa Automechanika-Aussteller Knorr-Bremse für seine aktuelle Trailerbremse ST7. Gewichtseinsparungen in ähnlicher Größenordnung nehmen die Hersteller von Motorenkomponenten, Fahrwerken und Lkw-Aufbauten für ihre aktuellsten Entwicklungen in Anspruch. Und auch der Trend zum sogenannten Downsizing bei den Lkw- und Transporter-Motoren, Treibwerke mit kleinerem Hubraum bei gleicher Leistung, ist dem Streben nach weniger Eigengewicht und damit mehr Nutzlast geschuldet.
Mit einer Gewichtsersparnis von annähernd 50 Prozent will das Start-Up-Unternehmen CarbonTT im Nutzfahrzeug punkten. Die Leichtbau-Entwickler mit Sitz im Airbuszentrum Stade lehnen sich – rein räumlich, aber auch konstruktiv – eng an den Flugzeugbau an und arbeiten an Verfahren für die Massenfertigung von großformatigen Carbonteilen, unter anderem auch für die Nutzfahrzeugindustrie. An einem Kühlkofferaufbau aus Carbon hat das junge Unternehmen, das auf der Automechanika 2016 im Rahmen des Themenbereichs „Tomorrow’s Service & Mobility“ ausstellt, bereits unter Beweis gestellt, was sich mit dem Werkstoff Carbon erreichen lässt. Der Kühler auf Transporterbasis weist bei 3,5 Tonnen Gesamtgewicht trotz Kühlaggregat und Isolierung eine Nutzlast von 1.500 Kilogramm auf – fast 500 Kilogramm mehr als herkömmliche Kühlfahrzeuge in dieser Klasse.
Alternative Antriebe
Ebenfalls ist das Start-up-Unternehmen Orten Electric-Trucks in der Festhalle, das sich dem Thema Tomorrow’s Service & Mobility widmet, zu finden. Das 2015 von Fahrzeugbauer Orten gegründete Start-up-Unternehmen rüstet herkömmliche Transporter und 7,5-Tonnen-Lkw mit Elektroantrieben aus. In Verbindung mit einem vom Mutterunternehmen selbst entwickelten extraleichten Aufbau entstehen so Fahrzeuge für den innerstädtischen Verteilerverkehr, die lokal emissionsfrei und bei gleicher Nutzlast wie ein vergleichbarer Diesel-Lkw bis zu 100 Kilometer weit fahren können. Jüngstes Beispiel: der Orten 75 AT, ein 7,5-Tonner auf Mercedes Atego-Basis. Schnellladende Lithium-Eisenphosphat-Batterien sollen dabei ebenso für Praxistauglichkeit sorgen wie ein drehmomentstarker Elektro-Synchronmotor mit 90 kW / 122 PS. Lieferfahrzeuge im Innenstadtverkehr mit niedrigen Kilometerleistungen sind prädestiniert für den vollelektrischen Einsatz, und die ersten Serienfahrzeuge sind – höhere Kosten hin oder her – bereits in verschiedenen Städten Europas im täglichen Einsatz.
Doch nicht nur vollelektrische Antriebe liegen im Trend. Auch Gas gilt als umweltfreundliche Alternative zum Diesel, der nach wie vor 95 Prozent aller Nutzfahrzeuge antreibt. Bei einem geplanten, weiteren Ausbau des Versorgungsnetzes bieten sich auf längeren Strecken im erweiterten Verteiler- sowie im Fernverkehr LNG (Liquified Natural Gas – mittels Tiefkühlung verflüssigtes Erdgas) oder CNG (Compressed Natural Gas – mit hohem Druck komprimiertes Erdgas) als emissionsarme Brennstoffe für Lkw-Motoren an. Die entsprechende Motorentechnik ist bei den Herstellern bereits verfügbar.
Alles geregelt
Das Ziel geringerer Emissionen greifen auch System- und Komponentenlieferanten auf, indem sie Wege suchen, den Kraftstoffverbrauch weiter zu senken. Voll im Trend: elektronisch geregelte Motorkomponenten und Nebenaggregate, die ihre Leistung nur bei Bedarf erbringen und auch nur dann Energie benötigen. Das Spektrum reicht von Lüftern für die Motorkühlung über Kühlmittelpumpen bis hin zu Ölpumpen oder Klimakompressoren. Der neueste Clou: Beim Rollen bergab laden Generatoren oder Kompressoren quasi zum Nulltarif Schnellladebatterien, Thermospeicher oder Druckluftbehälter, von wo aus sich die Energie bei Bedarf wieder abrufen lässt. Das Energiesparpotential all dieser Maßnahmen kann – je nach Umfang und Intensität des Gesamtpaketes – zehn Prozent und mehr erreichen.
Weitere Kraftstoffeinspar-Möglichkeiten bieten neuartige Geschwindigkeitsregler oder GPS-Tempomaten, die nicht nur die eingestellte Geschwindigkeit halten, sondern die aktuelle, per GPS errechnete Position mit der im System hinterlegten Topografie abgleichen und so „vorausschauend“ auf Steigungen und Gefälle reagieren – meist besser als es ein Fahrer je könnte. Schwungholen vor dem Berg oder ausrollen lassen vor dem Gefälle inklusive. In vielen neuen Lkw sind diese Systeme unter mehr oder weniger klangvollen Namen wie Predictive Powertrain Control (PPC), Efficient Cruise, Active Prediction, I-See, oder Predictive Cruise Control zu haben.
Überhaupt haben Assistenzsysteme im Nutzfahrzeug nach wie vor Hochkonjunktur. Zwar sind in neu zugelassenen Fahrzeugen bereits jetzt elektronische Stabilitätskontrollen, automatische Notfallbremssysteme und Spurhalteassistenten Pflicht. Doch die Entwicklung geht noch weiter: So hat Daimler erst kürzlich ein neues Notbremssystem mit Fußgängererkennung für seine Lkw-Baureihe Actros vorgestellt, und ZF hat gemeinsam mit Wabco einen neuen elektronischen Ausweichassistenten für Lkw entwickelt, welchen der Technologiekonzern auch auf der Automechanika im Rahmen seines ZF Innovation Truck 2016 präsentieren wird. Das System erkennt ein stehendes Hindernis, wie etwa ein Stauende, und lenkt – falls der Abstand für eine Notbremsung nicht mehr ausreicht – das Fahrzeug automatisch um das Hindernis herum. Das angepasste Stabilitätsprogramm verhindert dabei ein Umkippen, Einknicken oder Ausbrechen des Fahrzeugs. Ebenfalls von ZF stammt der Spurhalteassistent „Highway Driving Assist“, den die ZF-Ingenieure ursprünglich für den Pkw entwickelt und nun auf den Lkw übertragen haben. Anders als die bisher üblichen Spurhalteassistenten warnt dieses System nicht nur den Fahrer vor einem Verlassen der Fahrspur, es greift auch aktiv in die Lenkung ein und hält selbsttätig die Spur.
Gut vernetzt
„Teilautonomes Fahren“ nennen die Entwickler das. Für den letzten Schritt hin zum selbstfahrenden Lkw genügt es jedoch nicht, das Fahrzeug mit allerhand elektronischen Assistenten, mit Sensoren, Prozessoren und Elektromotoren auszustatten. Erst wenn der Lkw mit seiner Umgebung, beispielsweise mit anderen Fahrzeugen, kommunizieren kann, verfügt er über die nötigen Informationen, um autonom, also ohne Eingriff des Chauffeurs zu fahren. Dass auch dies bereits technisch möglich ist, haben sechs europäische Lkw-Hersteller bei einer Sternfahrt nach Rotterdam im Frühjahr 2016 unter Beweis gestellt. Bei der „European Truck Platooning Challenge“ setzten die Hersteller Fahrzeuge ein, die untereinander mittels WLAN vernetzt sind, laufend miteinander Daten austauschen und sich daher in engem Abstand von rund 15 Metern elektronisch aneinander kuppeln lassen. Nur das erste Fahrzeug in einer solchermaßen elektronisch verbunden Kette, dem sogenannten Platoon, wird von einem Fahrer aktiv gesteuert. Die übrigen Fahrzeuge folgen automatisch. Die Vernetzung und die dadurch mögliche Synchronisierung der Assistenzsysteme sorgen dabei für ein Höchstmaß an Sicherheit. Ein weiterer Vorteil des Platoonings liegt in seiner hohen Wirtschaftlichkeit und Umweltfreundlichkeit: Beim Fahren im Verbund sparen die Lkw laut Aussage der Hersteller je nach Position im Platoon zwischen zwei und elf Prozent Kraftstoff ein.
Die Vision vom selbstfahrenden Lkw ist also tatsächlich bereits zum Greifen nah. Und schon heute weisen die Trends in der Nutzfahrzeugindustrie mit modernen Materialien, neuen Technologien und einer Vernetzung der Systeme und Fahrzeuge in eine Zukunft mit weniger Verbrauch, geringeren Emissionen, mehr Nutzlast und mehr Sicherheit.
Quelle: Automechanika Frankfurt