Seit Jahren wird die Automobilbranche zunehmend digitaler. Fahrzeuge sind längst nicht mehr nur Fortbewegungsmittel, sondern hochentwickelte Computersysteme auf Rädern. Mit der Digitalisierung steigt jedoch auch die Verantwortung, alle Nutzergruppen einzubeziehen. Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG), eine EU-weite Regelung, die in diesem Sommer in Kraft tritt, verpflichtet Unternehmen dazu, digitale Produkte und Services für Menschen mit Behinderungen zugänglich zu machen. Dies betrifft insbesondere Infotainment-Systeme, Navigations-Apps und digitale Ladestationen. Jan Kus, Co-Founder und CEO von Railslove referierte beim Automotive Talk Köln. Weitere Informationen zum Event finden Sie auf der Website: www.AMtalk.de
Was regelt das BFSG konkret?
Das BFSG basiert auf der EU-Richtlinie zur Barrierefreiheit und schreibt vor, dass digitale Dienstleistungen und Produkte so gestaltet sein müssen, dass sie auch für Menschen mit Seh-, Hör- oder motorischen Einschränkungen nutzbar sind. Dies betrifft unter anderem:
- Infotainment-Systeme in Fahrzeugen: Displays, Bedienelemente und Sprachsteuerungen müssen so konzipiert sein, dass sie auch von Menschen mit eingeschränkter Mobilität oder Sehbehinderung problemlos genutzt werden können.
- Navigations-Apps und Mobilitätsdienste: Routenplaner und Fahrassistenzsysteme müssen barrierefrei gestaltet werden, damit sie beispielsweise über Screenreader ausgelesen werden können.
- Ladestationen für Elektrofahrzeuge: Bedienpanels müssen verständlich, taktil erfassbar oder auditiv unterstützt sein, um auch für Menschen mit Einschränkungen zugänglich zu sein.
- Webshops und digitale Services: Online-Dienste, die sich an Endverbraucher richten, müssen barrierefrei sein. Dazu gehören Fahrzeugkonfiguratoren, Buchungsplattformen für Werkstatttermine oder digitale Bedienungsanleitungen.
Warum ist das für die Automobilbranche relevant?
Auf den ersten Blick scheint Barrierefreiheit im Fahrzeugbau keine große Rolle zu spielen – schließlich sind blinde oder stark sehbehinderte Menschen in der Regel keine Autofahrer. Doch Barrierefreiheit betrifft nicht nur den Fahrer, sondern auch Beifahrer und Mitreisende. Ein Beispiel ist die Sprachsteuerung von Infotainment-Systemen: Wer nicht sehen kann, muss das System per Sprache oder durch Screenreader-Bedienung steuern können.
Zudem sind viele Fahrzeugfunktionen mittlerweile in Apps ausgelagert. Hersteller von Premium-Fahrzeugen werben mit umfassenden Smartphone-Anwendungen, die das Fahrzeug überwachen oder steuern können.
Diese Apps müssen ebenfalls barrierefrei sein, sofern sie Endkunden zur Verfügung stehen.
Welche Herausforderungen bringt das BFSG mit sich?
Viele Automobilhersteller und Zulieferer stehen vor der Herausforderung, bestehende Systeme anzupassen und neue Produkte von Beginn an barrierefrei zu gestalten. Dazu gehören unter anderem:
- Technische Anpassungen: Bestehende Infotainment- und Navigationssysteme müssen möglicherweise umgestaltet werden, um den Anforderungen an Barrierefreiheit gerecht zu werden.
- Schulung der Entwicklerteams: UX-Designer, Software-Entwickler und Produktmanager müssen sich mit den Prinzipien barrierefreier Gestaltung vertraut machen.
- Rechtliche und wirtschaftliche Risiken: Wer die gesetzlichen Vorgaben nicht einhält, riskiert Bußgelder und verliert möglicherweise Marktanteile, da barrierefreie Lösungen zunehmend als Standard erwartet werden.
Barrierefreiheit als Wettbewerbsvorteil
Barrierefreie Produkte sind nicht nur eine gesetzliche Verpflichtung, sondern bieten auch wirtschaftliche Vorteile. Eine benutzerfreundlichere Gestaltung kommt allen Nutzern zugute – nicht nur Menschen mit Behinderungen. Zudem sind barrierefreie Websites und digitale Services oft besser für Suchmaschinen optimiert (SEO), da Google & Co. Webseiten ähnlich analysieren wie ein Screenreader.
Auch für B2B-Anbieter kann das Thema relevant sein. Obwohl das BFSG primär für Endverbraucher-Produkte gilt, kann eine frühzeitige Umsetzung von Barrierefreiheit ein starkes Signal für Qualität und Innovationskraft sein.
Fazit zum Barrierefreiheitsgesetz
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz stellt die Automobilbranche vor neue Herausforderungen, bietet aber auch Chancen. Hersteller und Zulieferer sollten frühzeitig prüfen, welche digitalen Services betroffen sind und wie sie angepasst werden können. Wer sich jetzt mit barrierefreier Gestaltung auseinandersetzt, sichert nicht nur die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben, sondern verbessert auch die Nutzerfreundlichkeit und Sichtbarkeit seiner Produkte. Railslove/AMtalk/Automotive Talk Köln