Stirbt der Automobilhandel aus? Norbert Irsfeld, geschäftsführender Gesellschafter des Beratungsunternehmens Prudentes, hat als solcher tiefe Einblicke in die Automobilbranche und hier besonders in den Automobilhandel. An diesen ließ er die Zuhörer beim Automotive Talk Köln im April teilhaben und zeichnete verschiedene Szenarien zur Zukunft des Automobilhandels. Gleich vorweg entschärfte er seine provokant gestellte Eingangsfrage:
„Die Konsolidierung in der Branche schreitet voran. Ich bin der Auffassung, dass die Branche zwar nicht stirbt, aber sich massiv verändern wird. Sie wird deutlich kleiner und zusammenwachsen“,
so Irsfeld. So stellte er zunächst die alte Wirklichkeit und die neue Normalität in der Branche gegenüber: „Der stationäre Handel wird einen zunehmenden Bedeutungsverlust erfahren, das zeigt sich schon in den reihenweisen Kündigungen der Händlerverträge“. Irsfeld geht davon aus, dass die Händler in spätestens zwei Jahren vor großen wirtschaftlichen Veränderungen stehen. „Dies müssen die Händler sowohl wirtschaftlich als auch emotional verarbeiten“, so Irsfeld. In der neuen Normalität muss die Branche erkennen, dass es zwar die „alte Welt“ noch gibt, aber massive Änderungen bevorstehen.
Was passiert in der Branche?
Zum einen schweben vor allem die rein elektrisch angetrieben Fahrzeuge (BEV) wie ein Damoklesschwert über der Branche.
„Die BEV´s sind Teufelszeug und ein Bedrohungsszenario, an dem wir nicht vorbeikommen“,
formuliert Irsfeld überspitzt den Gemütszustand der Branche. Vor allem fürchtet man um die Servicerückgänge durch die BEV, schließlich macht der Service laut Irsfeld rund 70 bis 80 Prozent des Profits aus. Zusätzlich lassen neue Vertriebsmodelle und Omnichannel-Strategien der Hersteller im Handel die Angst vor Bedeutungsverlust wachsen. „Der Kunde soll über alle möglichen Kommunikationskanäle zum Handel kommen, die hauptsächlich von den Herstellern gesteuert werden. Der Handel fürchtet deshalb um die bisher so wichtigen Kundenkontakte“, so der Unternehmensberater. Außerdem braucht die Branche, wenn es nach den Herstellern geht, weniger Händler, so dass laut Irsfeld eine Art Elite-Club übrigbleibt.
Wo bleibt die Wertschöpfungskette?
Für Norbert Irsfeld hat der Handel nur drei Möglichkeiten, die prognostizierten Szenarien in einem sich konsolidierenden Markt schadlos zu überstehen. „Entweder der Händler sieht sich als Endspieler, als einer der übrig bleibt und wächst. Dazu braucht er aber strategisches Know-how, Geld und einen Hersteller, der ihn für den richtigen Partner hält. Oder er ist Stratege, der sein Heil im Zusammenschluss mit anderen Händlern sucht“, sagte Irsfeld. Als dritte Möglichkeit sieht er die Transformation:
„Ich entscheide mich entweder, strategisch vorzugehen und weiterzumachen oder ich steige aus“,
so Irsfeld. Fest steht, dass viele Marken in Zukunft auf ein Agenturmodell setzen, bei dem der bisher selbständige Autohändler zum Vermittlungsagent wird und eine Erfolgsprovision für Verkäufe erhält. „Nach unseren Berechnungen rechnet sich das für den Händler. Klar, er macht weniger Umsatz, aber das Ergebnis und die Kapitalsituation wird besser“, so Irsfeld. Schließlich mussten Händler bislang die Autos beim Hersteller kaufen, ausstellen, bewerben und schließlich hoffentlich verkaufen. „Die Zeiten sind vorbei, die Autos bleiben Eigentum des Herstellers. Damit hat aber auch dieser die verlängerte Bilanz“, beschrieb Irsfeld. Beim Händler reduziert sich demgegenüber die Bilanzsumme um geschätzt 50 Prozent und der Eigenkapitalanteil steigt massiv an. „Die Perspektive ist zumindest für die Händler interessant, die in ein Agenturmodell gehen, das wird ein Systemvorteil sein. Viele Automobilhändler glauben, nur weil sie Autos auf eigene Rechnung verkaufen, seien sie besseren Unternehmer. Das stimmt so nicht, auch als Agent kann man reich werden“, so Irsfeld.
Was passiert mit den Standorten?
Der Automobilhandel ist bisher sehr stationär. „In Zukunft werden wir viel weniger Handels-Standorte brauchen. Wir gehen davon aus, dass der Kunde bereit sind, ca. 45 Minuten zum nächsten Betrieb zu fahren“, prognostiziert Irsfeld. Doch das Problem ist: der Automobilhandel lebt von seinen Standorten. Wenn der Kunde irgendwann entscheidet, er brauche doch keinen stationären Anknüpfungspunkt mehr für ein Auto, dann brauchen wir keinen Automobilhandel mehr. Deswegen spielen die Standorte noch eine Rolle und werden attraktiv gemacht. „Eine unserer Aufgaben besteht darin, Unternehmen zu ihren Standorten zu beraten, und zwar welche noch rentabel sind und welche nicht“, so Irsfeld. Eine Vielzahl an Standorten und deren Immobilien fressen oft das Eigenkapital auf, ein Verkauf der Immobilien ist aber schwierig, weil es sich oft um Spezialbauten handelt.
„Wir versuchen die Handelsunternehmen zu beraten, was sie mit einer Vielzahl an Standorten machen, die sie in Zukunft nicht mehr brauchen“,
so Irsfeld abschließend und fasst zusammen: „Der stationäre Automobilhandel wird weiter gebraucht, weil Kunden das Bedürfnis zum persönlichen Kontakt haben. Der Handel muss versuchen, eine Produkt-Expertise aufzubauen. Dann bin ich mir sicher, hat auch der Automobilhandel eine Zukunft“.
Der Automotive Talk Köln ist eine halbjährliche Veranstaltung. Der nächste Termin ist der 26.11.2024. Hier Klicken