Aftermarket-Update präsentiert das Statement von Sigrid de Vries, Generalsekretärin der CLEPA, zur aktuellen Situation:
„Vor nur wenigen Wochen hat sich unsere Welt drastisch verändert. Der Einmarsch Russlands in die Ukraine verletzte die Grundprinzipien der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit, und die Automobilzulieferindustrie erkennt und unterstützt voll und ganz die Notwendigkeit eines entschlossenen Vorgehens in Form von Sanktionen als einheitliche Reaktion der EU auf diesen unprovozierten und ungerechtfertigten Angriff.
Wie bei jeder Krise gilt die Hauptsorge unseres Sektors den Arbeitnehmern, ihren Familien und der Gewährleistung ihrer Sicherheit und ihres Wohlergehens. Unser Augenmerk muss jedoch auch auf die unmittelbaren und längerfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen dieser unruhigen Zeiten gerichtet sein. Genauer gesagt, wie wirken sich die aufeinanderfolgenden Schocks auf die Mobilitätswende, die Energieunabhängigkeit, die Versorgungssicherheit und die steigende Inflation im Hinblick auf die Ziele des Green Deal aus?
Stimmung in der Branche für 2022
Die Ergebnisse der jüngsten CLEPA Pulse Check Umfrage spiegeln die Erwartungen der Automobilzulieferer wider und geben einen Ausblick auf ein zunehmend unbeständiges Geschäftsumfeld, in dem die Russland-Ukraine-Krise die ohnehin schon angespannte Lieferkette noch verschärft. Aus der Umfrage geht hervor, dass die Zulieferer zunehmend bereit sind, sich auf den grünen und digitalen Wandel einzustellen. Seit Oktober letzten Jahres sind die Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie in die Gewinnung von Talenten um 10 % gestiegen und werden als die beste Möglichkeit angesehen, sich auf künftige Chancen vorzubereiten. Darüber hinaus planen 66 % der Zulieferer, in den kommenden Monaten einen erheblichen Teil ihrer Belegschaft umzuschulen, um auf die neuen Trends bei autonomen, vernetzten, elektrischen und gemeinsam genutzten Fahrzeugen (ACES) in der Branche zu reagieren.
Allerdings sehen mehr als 70 % bzw. 60 % der Automobilzulieferer die anhaltenden weltweiten Unterbrechungen der Lieferkette und die Kostensteigerungen als zentrale Herausforderungen für die Branche an. Die Automobilzulieferer reagieren proaktiv auf die Unterbrechung der Lieferkette und die Verknappung von Chips, aber der Kostendruck bei den Rohstoff- und Energiepreisen verhindert eine vollständige Erholung nach COVID-19, und die Russland-Ukraine-Krise wird die Situation für die Branche wahrscheinlich noch verschärfen. Die politischen Entscheidungen, die in den kommenden Monaten getroffen werden, werden entscheidend sein für die Zukunft der Mobilität und vor allem dafür, ob sie wirklich eine für alle erreichbare Revolution sein wird.
#GreenANDJust…ANDSecure
Die Unvorhersehbarkeit, in der wir uns befinden, ist ein Grund mehr, mit voller Kraft auf die Gewissheit der Klimaneutralität hinzuarbeiten. Unsere Branche steht fest zu dieser Verpflichtung. Dies setzt jedoch voraus, dass wir uns voll und ganz der Innovation widmen und einen flexiblen Rechtsrahmen schaffen, der Investitionen erleichtert, den Wandel vorwegnimmt und das ganze Ausmaß des technologischen Fortschritts zulässt.
Die Ukraine-Krise hat weitere Schwachstellen in der globalen Versorgungskette aufgezeigt, die durch Importabhängigkeiten verursacht werden. Die Diversifizierung der Energie- und Rohstoffversorgung ist von entscheidender Bedeutung und sollte ein grundlegendes Prinzip der Politikgestaltung sein. Europa kann sich weder Isolationismus noch das Setzen auf singuläre Optionen leisten.
Der Grundsatz der Technologieneutralität sollte zu einem Eckpfeiler der EU-Politik werden, und zwar nicht nur mit Worten, sondern vor allem mit Taten. Dies gilt insbesondere für den Verkehrssektor, in dem die Bedürfnisse von Verbrauchern und Unternehmen sehr unterschiedlich sind, die geografischen und infrastrukturellen Bedingungen stark voneinander abweichen und Europa Gefahr läuft, einen hochmodernen Industriezweig zu ersticken, indem es Störungen erzwingt, anstatt eine beschleunigte, aber gut gesteuerte Umstellung vorzunehmen.
Wie unsere aktuelle Studie zeigt, riskiert ein reiner Elektrifizierungsansatz bis 2040 über 500.000 Arbeitsplätze allein im Antriebsstrangsegment. Er gefährdet bezahlbare Mobilität und schafft neue Importabhängigkeiten bei Rohstoffen und Batteriezellen. Ein technologieoffener Ansatz, der nachhaltige erneuerbare Kraftstoffe (Bio- und synthetische Kraftstoffe) einschließt, sollte in einem ausgewogenen politischen Rahmen eine Rolle spielen. Dies ist kein Argument gegen die Elektrifizierung, sondern ein Argument für die Diversifizierung. Ein Technologiemix trägt dazu bei, Optionen offen zu halten, die Preise niedrig zu halten und die Abhängigkeit von einer bestimmten Technologie, Energie, einem bestimmten Brennstoff oder einer bestimmten Region zu verringern – ohne Kompromisse bei den Klimazielen einzugehen.
Widerstandsfähigkeit der Lieferkette
In der Tat vollzieht sich ein Paradigmenwechsel von Jahren relativer Stabilität zu einer Situation hoher Volatilität, Inflation, Unterbrechungen der Lieferkette und neuer Geschäftsmodelle. Es wird immer schwieriger, ein Gleichgewicht zwischen unmittelbaren Bedürfnissen und langfristiger Planung zu finden.
Der Mangel an Halbleitern schränkt die Produktion weiterhin ein und nimmt Einnahmen weg, die anderweitig investiert werden könnten. Es ist eine große Herausforderung, geeignete Talente zu finden, und es besteht ein enormer Bedarf, den Übergang im Hinblick auf die Auswirkungen auf die Beschäftigung zu bewältigen. Die Energie- und Rohstoffpreise sind ohne Vorwarnung in die Höhe geschossen und belasten nicht nur die Unternehmen, sondern auch die Haushalte, die sich mit höheren Rechnungen und teureren Konsumgütern konfrontiert sehen.
Deshalb plädiert CLEPA für ausgewogene und pragmatische Entscheidungen. Eine Verdopplung der technologischen Offenheit, der Vielfalt und des partnerschaftlichen Ansatzes ist heute wichtiger denn je, um das Ökosystem der Mobilität zu erhalten und es auch in Zukunft integrativ und zweckmäßig zu gestalten.“
Quelle: CLEPA