Fast 240.000 Inseln. Mehr als 1.000 Fjorde. Über 2.000 Wasserfälle. 200.000 Elche. Bis zu elf Meter Schnee pro Saison. Und eine der grünsten Hauptstädte der Welt. Norwegen ist ein Land der Superlative. Aber auf einem Gebiet hat das kleine skandinavische Land einen besonders deutlichen Vorsprung vor den Großen: bei der Elektromobilität. Das ist kein Wunder, sondern Strategie: Seit 30 Jahren wird die Anschaffung von E-Autos gefördert, erst durch private Organisationen, dann durch den Staat. Mehr als 98 Prozent des Stroms stammt aus Wasser- und Windkraftwerken – grüner Strom ist in Skandinavien oft günstiger als Benzin oder Diesel. Norwegen hat zudem die größten Ambitionen für die Ausstiegs-Deadline: Bis spätestens 2025 sollen keine neuen Pkws und leichten Nutzfahrzeuge mit Verbrennungsmotoren mehr verkauft werden. Und 2021 hatten mehr als 60 Prozent der neu zugelassenen Autos einen vollelektrischen Antrieb. Unterm Strich verweisen die Erben der Wikinger mit 81 E-Autos pro 1.000 Einwohner den Rest der Welt auf die Plätze – Deutschland zum Beispiel kommt gerade einmal auf ein Zehntel dieses Werts. Die Bedingungen sind also perfekt für die Transformation hin zu einer nachhaltigen und emissionsarmen Mobilität.
Wirklich? Denn eigentlich sind die Witterungsbedingungen in einem Land, in dem es im Winter bis zu minus 40 Grad Celsius kalt werden kann, ganz und gar nicht optimal für die Technologie der Elektromobilität. Damit die hochempfindliche Batterie trotzdem ihre volle Leistungsfähigkeit behalten kann – egal ob kalt oder warm – müssen die Ingenieurinnen und Ingenieure von Continental das Temperaturmanagement im Fahrzeug ganz neu denken.
Kälte? Nein danke!
Elektroakkus sind empfindlich – völlig unabhängig davon, ob sie in einem Smartphone, einem Pedelec oder an der Unterseite eines E-Autos verbaut sind. Und das liegt nicht an einer höheren Feuergefahr, wie von vielen Menschen angenommen. Sie fühlen sich einfach nicht wohl bei Sommerhitze, Winterkälte, extremen Bedingungen. Denn besonders Kälte verlangsamt die elektrochemischen Prozesse, die Akkuspannung sinkt und es droht eine für die Batterie schädliche Tiefenentladung.
„Elektrische Energie, die durch die falsche Temperatur verloren gegangen ist, lässt sich nicht mehr zurückgewinnen“, weiß Patrick Handritschk, der sich bei Continental mit Lösungen für das Thermalmanagement beschäftigt.
Die Leistungsfähigkeit einer elektrischen Fahrzeugbatterie ist am höchsten in einem Temperaturkorridor zwischen 15 und 40 Grad Celsius. Und genau deswegen haben die Leitungssysteme, die die Continental-Expertinnen und -Experten entwickeln, einen unmittelbaren Einfluss auf die Reichweite von E-Autos.
Ganz schön lange Leitung
Grundsätzlich ist die Konstruktion bei Elektrofahrzeugen deutlich weniger komplex als bei jenen mit Verbrennungsmotoren: Ein Benziner mit Schaltgetriebe kommt zum Beispiel auf ungefähr 1.400 Teile. Dagegen genügen einem E-Auto gerade einmal 200 Einzelkomponenten. Die Kühl- und Wärmeleitungen bilden eine der wenigen Ausnahmen. Während im Verbrenner nur der Motor selbst gekühlt werden muss und die erzeugte Wärme für die Kabinenheizung genutzt werden kann, ist das Leitungssystem im Elektrofahrzeug deutlich verzwickter. Hier muss die Temperatur für mehrere Kreisläufe gemanagt werden, für den Powertrain, die Klimaanlage und schließlich die Batterie.
Je nach Außentemperatur muss der Akku also entweder gekühlt oder aufgewärmt werden. In der Regel passiert dies heute über getrennte Systeme, die durch einen Wärmetauscher verbunden sind. Und so verdoppelt sich die Gesamtleitungslänge im Vergleich zum Verbrenner auf fast 30 Meter. Dasselbe gilt für die Anzahl der nötigen Steckverbindungen, Schnellkupplungen und Schellen. In einem großen Nutzfahrzeug können das schon einmal fast 100 Einzelrohre und -schläuche sein, plus nochmal so viele Übergangselemente.
Hauptsache dicht
Die wichtigste Eigenschaft für Leitungen im elektrisch angetriebenen Fahrzeug: absolute Dichtigkeit bei allen äußeren Einflüssen wie zum Beispiel Temperaturunterschieden in kalten Wintern oder mechanischen Einflüssen durch das Fahren selbst. Denn durch die Rohre und Schläuche fließt eine Mischung aus Wasser und einem Kühlmittel wie zum Beispiel Glycol. In Elektrofahrzeugen kommen auch immer öfter Alternativen wie dielektrische Fluide zum Einsatz. Daher müssen die verwendeten Materialien auch die entsprechende chemische Beständigkeit mitbringen. Klassischerweise wurden für flexible Schläuche Gummiwerkstoffe wie Ethylen-Propylen-Dien-Kautschuke (EPDM) verwendet, für die stabileren Rohrelemente kam Aluminium oder Stahl zum Einsatz. Heute treten an die Stelle peroxidisch vernetzter Gummimischungen zunehmend thermoplastische Elastomere (TPE); Aluminium und Stahl werden durch andere Polyamid-, Polypropylen- oder Polyphenylensulfid-Kunststoffe (kurz: PA, PP und PPS) ersetzt. Entsprechend der individuellen Anforderungen des jeweiligen OEMs können diese Materialien für die optimale Lösung auch miteinander kombiniert und über entsprechende Konnektoren verbunden werden.
Dabei kann die Zusammenarbeit mit den Herstellern durchaus unterschiedliche Schwerpunkte haben. So sind die Konstruktionsvorstellungen der etablierten OEMs oft schon sehr detailliert und konkret, sodass die Zeit eher in die Entwicklung und Freigaben von verschiedenen Materialoptionen investiert wird. Im eMobility-Bereich arbeitet Continental aber auch mit vielen Start-ups zusammen, welche den Ingenieurinnen und Ingenieuren mehr Designfreiheiten lassen und sich bei der Materialauswahl für Schläuche, Rohre & Co. auf die Expertise von Continental verlassen.
Nachhaltigkeit mit Luft nach oben
Auch beim Material spielt, wie immer in der Elektromobilität, das Thema Nachhaltigkeit eine besondere Rolle. Und das nicht nur, weil die Endkonsumenten immer größeren Wert auf Ressourcenschonung und langlebige Produkte legen.
„Glücklicherweise sind die Leitungen in einem Fahrzeug generell so konzipiert, dass sie nicht ausgetauscht werden müssen. Das allein verringert den Ressourcenverbrauch“, sagt Patrick Handritschk.
Darüber hinaus achten die Entwicklerinnen und Entwickler besonders auf das Gewicht der Komponenten, denn aufgrund des hohen Akkugewichts soll andernorts jedes mögliche Gramm eingespart werden.
„Durch neue Materialien, die trotz einer geringeren Wandstärke genauso stabil und dicht sind wie ihre Vorgänger, konnten wir im Vergleich schon weit über 50 Prozent Gewicht einsparen.“
Nachhaltigkeit ist auch in der Continental-eigenen Produktion Trumpf. Laut der umfassenden Nachhaltigkeits-Roadmap möchte das Technologieunternehmen seinen CO2-Rucksack weltweit durch negative Emissionen neutralisieren – inklusive der Produktion, der Lieferkette und dem Ende der Nutzungsphase. Der Fokus liegt dabei auf Fahrzeugen ohne Antriebemissionen. Und das ist keine kleine Herausforderung. Die meisten Leitungen, ob nun EPDM, TPE oder andere Kunststoffe, bestehen nicht nur aus einer einzigen Schicht. Für eine gute dynamische Stabilität der Schläuche ist üblicherweise ein Festigkeitsträger eingearbeitet, der sich nur schwer von anderen Schichten trennen lässt.
Trotzdem sind sogenannte Monolayer laut den Expertinnen und Experten durchaus denkbar, wenn der Markt den Bedarf signalisiert. Möglich ist auch die Verwendung von recycelten Granulaten zum Beispiel aus alten PET-Flaschen.
„Hier wird sich in den kommenden Jahren ein Wandel ergeben, denn da liegt noch viel ungenutztes Potenzial“, ist sich Patrick Handritschk sicher.
Und hier schließt sich der Kreis: Das grüne Norwegen nimmt auch seine Recycling-Pflichten sehr ernst – schon bald soll die erste Recycling-Anlage für Batterien aus Elektroautos in Fredrikstad den Betrieb aufnehmen. Quelle: Continental