Der Kunde bestimmt was er tut. Die großen amerikanischen Internetkonzerne machen es seit längerem vor. Die digitale „Selbstbedienung“ ist für Kunden zur Selbstverständlichkeit geworden. Schnell mal via App ein Taxi bei uber buchen oder einen individuellen Reparaturtermin bei Tesla sind schon lange Standard. Bei Tesla braucht es 6 Klicks bis ein Termin ausgewählt ist. Natürlich funktioniert dies auch außerhalb aller Öffnungszeiten und unabhängig von der Verfügbarkeit von persönlichen Ansprechpartnern am Telefon.
Die digitalen Self-Services im Aftermarket werden aber längst auch bei Deutschen Unternehmen zum anerkannten Standard. Die Fahrradmarke Rose bietet diesen Service ebenso wie die Reparaturwerkstätten von A.T.U oder Euromaster. Dort können Reifenwechsel, HU/AU, Ölwechsel, Inspektion, der Service von Bremsbelägen und vieles mehr bequem zu Hause auf dem Sofa gebucht werden. Bei den Automobilherstellern herrscht noch ein durchwachsenes Bild vor. BMW bietet diesen Service sehr schön integriert, auf der mit dem Fahrzeug verbundenen App und auf der Vertragswerkstatt-Webseite. Bei VW z.B. sind die Aftermarket Lösungen aktuell noch etwas unscharf und vom individuellen Autohändler abhängig. Auch bei den großen Importeursmarken sind es Autohändler, die die Entwicklung eigener Lösungen bereits abgeschlossen haben und diese erfolgreich anbieten.
Was bringt mir das?
Wer sich als Autohändler oder Automobilhersteller fragt, was ihm das bringt, findet eine Antwort in Kostensenkung, Effizienzsteigerung und damit höherem Ertrag. Der Kunde übernimmt einen guten Anteil der administrativen Arbeit, die sonst der Kundendienstmitarbeiter erledigen müsste: Termin und Leistungen auswählen, persönliche Daten und die des Fahrzeugs erfassen, Zahlungsmittel festlegen, etc.
Die entscheidende Frage aber ist die nach den Kundenwünschen, denn die Nachfrage nach digitalen Self-Services wird vom Kunden getrieben. Nicht nur „Digital Natives“ verlangen solche Lösungen. Es ist einfach sehr angenehm eine große Auswahl an Terminen zu haben und daraus den zu wählen, der einem am besten passt. Und diesen wieder anzupassen, wenn etwas dazwischenkommt. Damit erfreuen sich Self-Services zunehmender Beliebtheit auch bei denen, die sonst zum Hörer gegriffen haben.
Und Achtung, wer denkt sein Aftermarket Kunde käme sowieso weiterhin zu ihm, unterschätzt die Dynamik der digitalen Angebote. Schnell wird nach Anklicken der Instagram-Werbung einer Werkstattkette zum kostenlosen Frühjahrscheck der Winter-Reifenwechsel gleich mit gebucht und warum nicht schnell noch die Bremsen machen lassen, wenn man schon vor Ort ist? Das super Sonderangebot für neue Sommerreifen gibt es natürlich dazu.
So geht es voran!
Die Automobilhersteller müssen das Thema angehen und händlerübergreifend lösen. Das ergibt sich allein schon aus dem Blickwinkel der Kunden. Wie bei jeder ordentlichen Customer Journey Betrachtung liegt auch bei dieser die Kundensicht im Mittelpunkt aller Überlegungen. Und der Kunde wird flexibel wählen wollen zwischen einer Terminvereinbarung via App auf dem Smartphone, via Hersteller- bzw. Autohändlerwebseite oder natürlich auch zukünftig in direkter Kommunikation zwischen dem Fahrzeug und dem (Marken-)Autohaus. Letztere ist übrigens eine Idealvorstellung zur Kundenbindung. Diese wird umso wichtiger werden je mehr Elektrofahrzeuge verkauft werden und sich für diese der regelmäßige Kontakt zu der Vertragswerkstatt reduziert. Große und schnelle Aftermarket Zulieferer werden ebenso Interesse haben eigene Self-Service Lösungen zu vermarkten.
In jedem Fall sollte der proaktive Autohändler bzw. die Vertragswerkstatt nicht auf einen Automobilhersteller warten, der absehbar keine Lösung anbietet. Natürlich gilt es die Entwicklung der lokalen DMS voranzutreiben. Und wer als markengebundener Partner tätig ist, tut gut daran, die Lösung seines Automobilhersteller zu nutzen. Auch wenn es Anstrengungen verlangt, an der digitalen Integration verschiedener Customer Journeys und der Zusammenführung der entstehenden Kunden- und Fahrzeugdaten auf einer gemeinsam von Automobilhersteller und Autohändlern nutzbaren Plattform führt perspektivisch kein Weg vorbei. Seit es die Apple.ID gibt, ahnen wir es und der Kunde erwartet es sowieso.
Über den Autor: Ulrich Schäfer beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit der Zukunft des Automobilvertriebs. Er war für Renault und Kia tätig und hat als Geschäftsführer von Polaris Industries die legendäre Motorradmarke Indian Motorcycle wieder nach Deutschland gebracht. Aktuell arbeitet er selbstständig als Management Berater und Interim Manager insbesondere an Themen des Customer Journey Managements sowie an Go-to-Market Plänen im Bereich der Elektromobilität. www.schaefermanagement.de
Bild: Ulrich Schäfer / BMW.de