Der langjährige VW-Motorenentwickler Jens Andersen erklärt, warum er aktuell keinen Elektroauto-Boom erkennen kann und wieso man fossiles Erdgas durch Biogas ersetzen sollte. Der Technologieexperte kennt die Vorteile der unterschiedlichen Antriebstechnologien im Detail und verriet gegenüber der dreisprachigen Wissensplattform cng-mobility.ch spannende Fakten.
„Angesichts der Corona-Krise und den sich bereits abzeichnenden dramatischen Folgen für die Autoindustrie kommt die Politik nicht darum herum, das Elektroauto-Zwangskorsett zu lockern“, ist sich der deutsche Technologie- und Motorenexperte Jens Andersen sicher. „Die europäische Politik hat sich quasi diktatorisch auf E-Mobilität als den alleinigen Antrieb der Zukunft festgelegt und handelt bisher entsprechend.“ Der promovierte Maschinenbau-Ingenieur arbeitete als Leiter der Technologiestrategie des VW-Konzerns und ist seit 2018 selbstständig. Der profunde Kenner der Branche erkennt derzeit auch keinen Boom von Elektroautos: „Den sehe ich nicht. Er ist herbeigeredet, weil es opportun ist, für E-Mobilität zu sein.“
Für Jens Andersen ist die Faktenlage klar:
„Die europäische CO2-Emissionsgesetzgebung bevorteilt den elektromotorischen Antrieb durch den Fokus auf die Emissionsmessung am Auspuff massiv.“ Dadurch würden die Emissionen, die bei der Stromproduktion entstehen, schlicht ignoriert. Die Energiewende im Verkehrssektor müsse man jedoch so steuern, dass sie noch schneller vorankomme. „Und zwar ohne die eigene Schlüsselindustrie dabei quasi mit dem Kopf durch die Wand auf den Rein-Elektro-Pfad zu zwingen. Der Verbrennungsmotor ist nicht per se schlecht – entscheidend ist der verwendete Treibstoff“.
Der Experte mit 28 Jahren Erfahrung aus dem VW-Konzern plädiert für mehr Technologieoffenheit und erläutert:
„CNG ist als derzeit umweltfreundlichster Treibstoff für den Verbrennungsmotor in der breiten Bevölkerung überhaupt nicht bekannt. Ich wünschte mir einen politisch gewollten, fairen aber knallharten Wettbewerb zwischen dem Elektro- und dem CNG-Fahrzeug – und zwar mit einer Gesamtbetrachtung von der Herstellung bis zur Verschrottung.“
Denn CNG und Biogas seien neben der E-Mobilität eine gleichwertige Alternative für eine klimafreundliche Mobilität. Die günstigste Massnahme für Automobilhersteller, CO2 zu reduzieren und erst noch wirtschaftlich erfolgreich zu sein, sei derzeit der Bau und der Verkauf von CNG-Fahrzeugen.
Auch im Schwerlastverkehr sieht Jens Andersen durch die Umstellung von Diesel auf CNG grosses CO2-Einspar-Potenzial. Zudem besitze Europa ausgezeichnete Möglichkeiten für eine Biogas-Produktion. Dies und weitere Details verrät er im Interview auf der dreisprachigen Wissensplattform cng-mobility.ch.
„Sofern betriebswirtschaftlich darstellbar, sollte man das fossile Erdgas durch Biogas ersetzen. Das wäre realer und glaubwürdiger Klimaschutz“, erläutert der Technologieexperte und hält fest:
„Eine Kurskorrektur bei der Energiewende im Verkehrssektor drängt sich in Anbetracht der finanziellen Herausforderungen durch die Corona-Krise auf. Ich erwarte hier bald intensivste Diskussionen.“
Den ersten Schritt dazu machte die europäische Autoindustrie bereits mit einem Schreiben an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Darin hält sie fest:
„Derzeit finden keine Produktions-, Entwicklungs-, Test- oder Homologationsarbeiten statt.“
Dies störe die Pläne der Branche, bestehende und zukünftige EU-Gesetze und -Vorschriften innerhalb der festgelegten Fristen einzuhalten. Damit machte die Branche auch gleich klar, dass man nicht an den CO2-Vorgaben selbst, aber sehr wohl am Zeitplan dafür schrauben möchte. Quelle: Portal für die klimafreundliche Mobilität in der Schweiz