Um die Ausbreitung von COVID-19 zu verlangsamen gibt es seit dem 23. März in Deutschland mehrere gesetzliche Maßnahmen, die gravierende Auswirkungen auf die Wirtschaft und das öffentliche Leben haben. Nur ‚systemrelevante‘ Handelsunternehmen haben geöffnet – das betrifft Autohändler aber nicht die Kfz-Werkstätten. Es gibt auch eine Kontaktbeschränkung für mehr als zwei Personen. Und das Ordnungsamt und die Polizei kontrolliert ganz genau. All das hat Folgen für den Service- und Reparaturmarkt in Deutschland.
Prekäre Lage für den Service- und Reparaturmarkt
Beginnen wir mit dem Autofahrer. Durch die Kontaktbeschränkung und die Anweisung, wenn möglich von zu Hause zu arbeiten, wird der Individualverkehr minimiert. Auch die freiwillige Reisebereitschaft, wenn es nicht unbedingt notwendig ist zurückgegangen. Wenn es möglich ist, bleiben Autofahrer also zu Hause. Dies gilt auch für anstehende Leistungen rund um das Fahrzeug. Insbesondere werden Werkstatttermine für Wartung, Reifenwechsel oder „einfache“ Reparaturen abgesagt oder verschoben. Auch können sich Autofahrer mit der Kfz-Hauptuntersuchung mehr Zeit lassen. Das Bundesverkehrsministerium hat den für die HU zuständigen Bundesländern empfohlen, Fristüberschreitungen, um bis zu vier Monate nicht zu ahnden.
Bei den Autohändlern und deren Vertragswerkstätten ist die Situation demnach deutlich angespannt. Laut ZDK beanspruchten vor drei Wochen 70% der Autohändler Kurzarbeitergeld – davon 90% für Mitarbeiter im Autohandel und 70% für Werkstattmitarbeiter. Die Automobilherstellerkommunizieren, dass die Wartung und Reparatur für Flottenfahrzeuge, insbesondere für systemrelevante Fahrzeuge (Krankenwagen, Feuerwehrfahrzeuge etc.), weiterhin gewährleistet ist. Aber dies garantiert noch lange keine „normale“ Auslastung in den Kfz-Betrieben. Dabei erwartet das ZDK, dass 15% aller Kfz-Werkstätten vorübergehend schließen werden.
Die Werkstatt-Kette A.T.U war eines der ersten Unternehmen, dessen Filialen flächendeckend geschlossen wurden. Der offizielle Grund ist der Schutz der Mitarbeiter und Kunden, jedoch kann man annehmen, dass die geringe Werkstattauslastung und die Schließung des Shops diese drastische Entscheidung auch beeinflussten. In der Zwischenzeit wurden wieder vereinzelt Niederlassungen im „Notbetrieb“ geöffnet.
Insbesondere Werkstätten, die sich auf Reifenwechsel und „schnelle“ Serviceleistungen konzentrieren, haben es aktuell schwer eine angemessene Auslastung zu erreichen, da der Autofahrer diese Arbeiten aufschiebt. Somit sind insbesondere Autocenters, Fast-Fits und Reifen-Spezialisten eher stärker betroffen. Dies gilt zum Teil auch für Vertragswerkstätten, denn diese sind oft auf eine einzelne oder auf eine geringe Anzahl von Marken im jüngeren Fahrzeugsegment spezialisiert.
Im Gegensatz zu den oben genannten Segmenten sind reine Werkstattbetriebe und insbesondere freie Werkstätten derzeit nicht so gravierend betroffen, da diese mehrere Marken und Reparatur-Leistungen anbieten und einen Einbruch von Wartungsarbeiten und Reifenwechsel mit anderen bzw. zeitaufwendigeren Reparaturen zumindest teilweise kompensieren können. Dies ist jedoch von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich.
Wann ist eine Rückkehr zum Normalzustand zu erwarten?
Auch mit Kurzarbeitergeld und finanziellen Maßnahmen der Regierung wird es nach der Krise schwierig werden wieder zum Tagesgeschäft zurückzukehren. Viele kleine Kfz-Betriebe sind nicht ausreichend finanziell abgesichert, falls die Krise länger anhält bzw. die Nachfrage längerfristig ausbleibt.
Angenommen, diese Krise ist an einem Tag X „überstanden“ – Dennoch werden weiterhin viele Autofahrer vorsichtig mit ihren Ausgaben sein. Und einige werden weiterhin um ihre Existenz fürchten. Viele, die Kurzarbeitergeld erhielten, müssen sich finanziell „erholen“. Andere werden wohl möglich um ihren Arbeitsplatz bangen. Dies wird dazu führen, dass auch nach dem Tag X die Kunden für Wartungsarbeiten, Reifenwechsel oder Reparaturen (wenn es nicht unbedingt notwendig ist) zeitnah keine Werkstatt aufsuchen werden. Dies hat zur Folge, dass einige Werkstätten den Mangel an Auftragseingängen nicht kompensieren können, wiederum Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken oder schlimmstenfalls sogar Insolvenz beantragen müssen. Somit gehen wir ab dem Tag X nur von einer leichten Erholung der Situation aus.
Weiterhin muss auch berücksichtige werden, dass durch die Minimierung des Individualverkehrs die durchschnittliche Laufleistung eines Fahrzeuges in diesem Jahr signifikant abnehmen wird. Weniger Kilometer bedeutet demnach weniger Verschleiß und Reifenabrieb und somit weniger Werkstattaufträge.
Der unabhängige Service- und Reparaturmarkt wird Marktanteile gewinnen
Dennoch werden früher oder später die aktuell notwendigen Wartungen, Reifenwechsel und Reparaturen durchgeführt. Um Reparaturkosten zu sparen, werden diese Leistungen womöglich mehr in freien Werkstätten als in Vertragswerkstätten stattfinden, wenn die Vertragswerkstätten nicht ein flächendeckendes „Post-Crisis“ Preis-Leistungs-Angebot offerieren.
Die wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Krise sind derzeit schwer abzuschätzen. Dennoch rechnen Ökonomen mit einer Rezession, was wiederum Auswirkungen auf die Beschaffung von Neuwagen hat. Somit werden die aktuellen Fahrzeuge länger genutzt und dies führt zu einem weiteren Anstieg des durchschnittlichen Fahrzeugalters. Traditionell nutzen die Fahrzeughalter älterer Fahrzeuge vermehrt freie Werkstätten. Mittelfristig wird demnach der unabhängige Service- und Reparaturmarkt Marktanteile gewinnen.
Eine Hoffnung für die Fahrzeugindustrie wie auch für Autohändler/Vertragswerkstätten wäre die erneute Einführung einer „Abwrackprämie“ durch die Bundesregierung. Von dieser Maßnahme gehen wir jedoch nicht aus, da viele andere Branchen noch stärker von dieser Krise betroffen sein werden. Die gestrige Entscheidung der Bundesregierung zur Lockerung der Öffnungen der Autohändler wird zeigen, wie hoch die aktuelle Nachfrage an Neuwagen und/oder Gebrauchtwagen ist.
René Herrmann, Country Manager, ICDP Germany