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VDA setzt auf Offenisve

Veröffentlicht am 26.01.2017
 

Rund 650 hochrangige Gäste aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft kamen zum Neujahrsempfang des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) nach Berlin. Neben Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (er sprach als Ehrengast ebenfalls zu den Gästen) waren dies zahlreiche Staatssekretäre und Bundestagsabgeordnete sowie Botschafter und Gesandte aus Frankreich, Großbritannien, Österreich, Spanien, Portugal, der Tschechischen Republik, der Slowakischen Republik, Polen, Ungarn, Ukraine, China, Brasilien, Argentinien und Kolumbien. Der VDA-Vorstand war mit Dr. Daniel Böhmer (Meiller), Dr. Elmar Degenhart (Continental), Gunnar Herrmann (Ford), Arndt G. Kirchhoff (Kirchhoff), Gertrud Moll-Möhrstedt (Akkumulatorenfabrik Moll), Dr. Karl-Thomas Neumann (Opel), Andreas Renschler (VW), Gero Schulze Isfort (Krone), Dr. Stefan Sommer (ZF), Prof. Rupert Stadler (Audi) und Dr. Stefan Wolf (ElringKlinger) zahlreich vertreten. Nachfolgend das Statement von VDA-Präsident Matthias Wissmann auf dem VDA-Neujahrsempfang in Berlin:


Deutsche Pkw-Hersteller haben US-Produktion seit 2009 vervierfacht

„Seit wenigen Tagen ist Donald Trump als 45. Präsident der Vereinigten Staaten im Amt – und nicht nur die deutsche Automobilindustrie muss sich auf eine neue Lage einstellen. Mindestens die Außen- und Sicherheitspolitik und voraussichtlich Handelsfragen sind neu zu justieren nach der Antrittsrede des neuen US-Präsidenten am Freitag vor dem Kapitol. Wir nehmen seine Äußerungen ernst. Zugleich werden wir noch ausstehende Fakten zeitgerecht analysieren und nicht spekulieren. Keine Frage: Sollte es zu Einschränkungen des NaftaRaumes kommen, so würden sie zunächst der US-Wirtschaft einen deutlichen Dämpfer geben. Aber auch der internationale Handel wäre betroffen.

Für die deutschen Automobilhersteller sind die Vereinigten Staaten nicht nur der zweitgrößte Exportmarkt, sondern auch ein wichtiger Produktionsstandort, von dem aus der Weltmarkt beliefert wird. In den vergangenen sieben Jahren haben wir unsere Light-VehiclesProduktion dort auf 850.000 Einheiten vervierfacht. Mehr als die Hälfte der Fahrzeuge, die die deutschen Hersteller in den USA fertigen, werden exportiert. Das zeigt: Die USA ihrerseits sind eng verflochten mit der Welt und können kein Interesse daran haben, dass wir gegenseitig in protektionistische Tendenzen verfallen. Die deutschen Zulieferer haben die Zahl ihrer Standorte in den USA deutlich erhöht. Das ist ein klares Commitment für den Standort USA.

Deutsche Automobilindustrie setzt auf Offensivstrategie

Die deutsche Automobilindustrie beschäftigt in den USA im direkten Bereich 110.000 Mitarbeiter, davon 77.000 bei Zulieferern. Mit dem indirekten Bereich – z. B. Handel und Werkstätten – sind es mehrere hunderttausend Mitarbeiter. Mit dem Aufbau von Zöllen oder Importsteuern würden sich die USA langfristig ins eigene Fleisch schneiden. Wer nur auf die automobile Handelsbilanz schaut, sieht nicht das gesamte Bild. Aussagekräftiger ist der Blick auf die Marktanteile. So haben die deutschen Hersteller in den USA einen Marktanteil von 7,6 Prozent (Vorjahr 8,0 Prozent). Umgekehrt ist der gemeinsame Marktanteil der Tochterunternehmen von Ford und GM in Deutschland zweistellig. Und ihre Chefs von Ford und Opel sind geschätzte Kollegen im VDA-Vorstand.

Auf beiden Seiten des Atlantiks gilt: Angesichts des harten internationalen Wettbewerbs und der weltweiten Wertschöpfungsketten sind – neben Direktinvestitionen – gute Handelsbedingungen von entscheidender Bedeutung für das Wirtschaftswachstum und für Jobs. Für mich ist eines klar: Wir müssen überall in der Welt noch überzeugender für die Vorteile des freien Welthandels werben. Protektionismus hat noch nie dauerhaft ein wirtschaftliches Problem auf der Welt gelöst.

Großbritannien wichtigstes Exportland für deutsche Automobilindustrie

Natürlich macht uns auch Großbritannien Sorgen. Der von Premierministerin May angekündigte ‚hard brexit‘ birgt erhebliche Risiken – für UK ebenso wie für die gesamte EU. Mehr als die Hälfte der britischen Pkw-Exporte geht in die Europäische Union. Und die deutsche Automobilindustrie exportiert in kein anderes Land mehr Pkw als in das Vereinigte Königreich – 2016 waren es rund 800.000 Neuwagen, also knapp ein Fünftel unseres gesamten Pkw-Exports. Außerdem haben wir Produktionswerke in Großbritannien. Wir sind also sehr eng vernetzt.

Aus Sicht der deutschen Automobilindustrie muss alles getan werden, um den bislang ungehinderten Waren- und Dienstleistungsverkehr zwischen Großbritannien und den anderen EU-Ländern auch künftig zu ermöglichen. Aber es gibt eine klare Priorität: Wir müssen unter den 27 EU-Mitgliedstaaten zusammenstehen. Und Brüssel muss aus dem Votum der Briten die richtigen Schlüsse ziehen. Das gemeinsame Europa muss für seine Mitglieder attraktiver werden. Weniger EU-Regulierung ist jetzt mehr Europa. Wir brauchen mehr Transparenz und echte ‚better regulation‘.

Und wir brauchen eine angemessene Aufgaben- und Lastenverteilung in der EU. Ich füge deshalb hinzu: So wichtig das Vereinigte Königreich für uns als Markt ist, der Zusammenhalt der EU-27 und der damit verbundene Binnenmarkt sind für unsere Industrie von noch größerer Bedeutung.

Pkw-Weltmarkt wächst 2017 auf 85 Millionen

Damit komme ich zu den Automobilmärkten insgesamt. Das Automobiljahr 2016 war insgesamt gut: Sowohl der US-Markt (17,5 Mio. Light Vehicles) als auch China (23,7 Mio. Pkw) erreichten neue Rekordniveaus, Westeuropa legte um 6 Prozent auf 14 Mio. Neuwagen zu. Erfreulich ist, dass der Pkw-Weltmarkt auch im laufenden Jahr weiter wachsen wird – auf fast 85 Mio. Einheiten. Der Pkw-Inlandsmarkt erzielte 2016 mit rund 3,4 Mio. Neuzulassungen das höchste Niveau seit Beginn des Jahrzehnts, die Inlandsbeschäftigung stieg sogar auf ein 25-Jahre-Hoch (815.000 Mitarbeiter). Unsere Hersteller haben in Deutschland einen Marktanteil von 70 Prozent, in Westeuropa sind es 50 Prozent, in China 20 Prozent.

Offensivstrategie mit 10 Punkten – Elektromobilität und Digitalisierung – Verbrennungsmotor weiter notwendig – Letzte „Baustellen“ bei Abgasemissionen werden geschlossen

Damit die deutsche Automobilindustrie auch künftig ihre internationale Wettbewerbsposition halten kann, braucht sie die Politik an ihrer Seite. Denn es wird immer klarer, dass die Unternehmen angesichts ‚disruptiver Zeiten‘ auf eine umfassende Offensivstrategie setzen, die sich in zehn Punkten zusammenfassen lässt:
Bis zum Jahr 2020 werden die Hersteller ihr Modellangebot an Elektroautos mehr als verdreifachen – von derzeit 30 auf knapp 100 Modelle. Schon 2019 wird der Elektroantrieb, als Plug-in-Hybrid oder rein batterie-elektrisch, in praktisch allen Baureihen vertreten sein. Zweitens investiert die deutsche Automobilindustrie bis 2020 über 40 Mrd. Euro in alternative Antriebe. Dies ist eine große Kraftanstrengung. Denn die Milliardenaufwendungen müssen aus dem laufenden Geschäft erwirtschaftet werden, also aus dem Verkauf von Autos mit Verbrennungsmotor. Wir können uns nicht – wie das mancher außerhalb der Branche meint – einfach aus einer Antriebsart ‚verabschieden‘. Diese Industrie ist kein Staatsbetrieb, der trotz ständiger Verluste immer wieder frisches Geld erhält. Sie trägt Verantwortung für viele hunderttausend Beschäftigte. Es wird entscheidend darauf ankommen, wie sich die Märkte weltweit entwickeln. Eines ist sicher: Der Kunde tanzt nicht nach der Pfeife von Planwirtschaftlern.

Parallel zur Elektromobilität werden, drittens, die klassischen Antriebe weiter entwickelt. Verbrauchssenkungen um 10 bis 15 Prozent sind drin. Wir sind davon überzeugt: Benziner und Diesel werden weiterhin gebraucht. Der Pkw-Weltmarkt wird bis zum Jahr 2020 auf 91 Mio. Neuwagen zunehmen. Das heißt: Der Absatz von Autos mit Verbrennungsmotor steigt, auch wenn der Anteil von Elektrofahrzeugen stärker wächst. Auch bei der ELadeinfrastruktur setzen die deutschen Hersteller ein Zeichen: BMW, Daimler und Volkswagen mit Audi und Porsche planen zusammen mit der Ford Motor Company ein Joint Venture für ein ultraschnelles Hochleistungsladenetz an Autobahnen in Europa. Im ersten Schritt sind 400 Standorte vorgesehen. Wir schließen fünftens die letzten ‚Baustellen‘ bei den Abgasemissionen: Ab 2017 werden mehr und mehr Pkw, die einen Benzinmotor mit Direkteinspritzung haben, mit Partikelfilter ausgerüstet. Damit wird das Feinstaubproblem beim Benziner gelöst, das ja beim Diesel schon seit vielen Jahren nicht mehr besteht – dort wird der Partikelfilter serienmäßig eingesetzt. Beim Diesel forcieren wir die Einführung der modernsten Abgastechnologie SCR. Ende 2019 werden bereits 80 Prozent der Diesel-Pkw-Neuzulassungen mit SCR arbeiten, zu Beginn der nächsten Dekade wird es nahezu jeder neu zugelassene Diesel-Pkw sein. Damit wird die Stickoxidfrage abschließend beantwortet.

„Zweiter Frühling“ für Verbrenner mit e-fuels möglich

Wir setzen siebtens auf erdölunabhängige ‚e-fuels‘. Damit kann eine CO2-neutrale Mobilität selbst beim Verbrenner sichergestellt werden, weil diese Kraftstoffe bei ihrer Produktion genau so viel CO2 binden, wie sie bei ihrer Verbrennung wieder abgeben. Noch sind die Kosten für einen solchen Kraftstoff hoch. Doch ein ‚zweiter Frühling‘ für den Verbrenner ist durchaus denkbar. Wir investieren, achtens, in die Digitalisierung – neben der Elektromobilität der zweite große Innovationstrend – in den nächsten drei bis vier Jahren 16 bis 18 Mrd. Euro. Die deutsche Automobilindustrie ist, neuntens, bereits heute Patentweltmeister beim vernetzten und automatisierten Fahren: An allen seit 2010 weltweit erteilten Patenten auf diesem Feld hat sie einen Anteil von 58 Prozent. Diese Position wollen wir weiter ausbauen.

Und zehntens entwickeln wir innovative Konzepte für urbane Mobilität, um diese umweltschonender, sicherer, verlässlicher und effizienter zu gestalten. Dazu kooperiert die deutsche Automobilindustrie mit ausgewählten Städten. Zudem weiten die deutschen Hersteller ihre Car-Sharing-Angebote national und international aus.

Deutschland braucht „Industriefahrplan“

Erst in der Gesamtschau wird die Dimension der Offensivstrategie deutlich. Doch sie wird nur dann erfolgreich sein, wenn die Politik den Weg dazu ebnet, ihn nicht blockiert und Deutschland wieder mehr an seiner Wettbewerbsfähigkeit arbeitet: Deutschland braucht neben einem Klimaschutzplan vor allem einen ‚Industriefahrplan‘, der die Wettbewerbsfähigkeit im weltweiten Maßstab sichert und ausbaut. Das gilt auch für Europa.

Dringend notwendig ist eine Balance zwischen Klimaschutz und Industriepolitik. Deutschland ist Industrienation, viele beneiden uns darum. Wenn wir diese Position halten wollen, darf Klimapolitik nicht das einzige Politikziel bleiben. Und schon gar nicht sollte es im nationalen Alleingang angefasst werden; der Lösungsansatz kann nur international erfolgen. Wir benötigen einen vernünftigen Ausgleich zwischen Klima- und Industriepolitik, eine Politik mit Augenmaß, auch mit Blick auf die Beschäftigung. Ein Verbot des Verbrenners zählt nicht dazu, ebenso wenig eine ‚Quotenregelung‘ für Elektroautos, wie sie die Bundesumweltministerin fordert.“


Quelle: VDA

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